Peter Baer

Wie sollte der Maler nicht heftig sein, wenn seine Phantasie in zeitlosen Räumen Lichtpunkte sucht und er nun vor der Aufgabe steht seine Funde: diese Weite, diesen Ernst diese Zuversicht auf einem Stück Leinwand anschaulich, also mitteilbar zu machen? Wie sollte er nicht zu grossen Worten greifen, wenn er erläutert, dass das, was auf der Leinwand geschieht, von kosmischer Bedeutung ist, ein Abbild im Kleinen, das stellvertretend zeigt, wie Weltkatastrophen vermieden werden können, durch Opferbereitschaft, durch Toleranz, durch das Aufbrechen der Kette Aug ‚um Aug’ und Zahn um Zahn? Kann es erstaunen, dass dieser Maler herrisch ist auch dann noch, wenn der Prozess des Maens längst abgeschlossen scheint - dass er seine Bilder nicht im Stich lässt und er für Galerien sich also als ein schwieriger Partner erweist, indem er unzufrieden ist, eine bessere Platzierung fordert, seine Bedingungen stellt, und dies eben aus dem Bewusstsein, dass er über eine wichtige Botschaft verfügt?

Peter Baers Bilder, in der Regel grosse Formate, öffnen sich über das Auge, sie sind hervorragend gemalt. Aber das Auge genügt ihm nicht, die Haut des Bildes ist ihm scheinbar nur Mittel zum Zweck, über das er sich wenig auslässt, und was ihn vor allem interessiert das ist der Zugang zur Seele, wie er es nennt. Baers Bilder sind für den Maler selbst also nicht in erster Linie ein Ereignis der Gestaltung (das sind sie auch), sondern ein moralischer Anspruch an den Betrachter. Sein jahrelanger, kompromissloser, verbissener Einsatz für seine Malerei habe ihn von vielfältigen Zwängen befreit, er sei durch Malen glücklich geworden: eine korrespondierende Erfahrung traut er nun auch dem Betrachter zu. Welch ein Anspruch! Welch ein Mut zur Offenbarung!

Dementsprechend sind es Namen aus einer alten Überlieferung der Hoffnung, die ihm immer wieder als Bildtitel einfallen (neben so alltäglichen Motiven wie Tisch, Stuhl und Bett): Christus, Salomo, Parzival, HI. Georg. Der Stier, ein sich wiederholendes Motiv, wird nicht geschlachtet, sondern gefangen. Wie im Sturm schiesst das Gespann des Wagenlenkers auf den Betrachter zu, eine Dynamik, die jeden Widerstand niederzuwalzen scheint - die Gestalt, die die Zügel hält, thront souverän, wie eine Vision, überlegen und unberührt. Es gibt solche Schlüsselbilder, an denen ablesbar wird, wie Baer es anstellt, dass der Betrachter sich nicht in einer Bibelstunde vorkommt. Der Maler definiert seine Themen nicht abschliessend, sondern lässt sie offen, sodass bei den Bildern die Titel wechseln können. Baer stellt sich vor die Leinwand und sucht nach einer passenderen Formulierung. Nur vage darf die Gestaltung nicht sein.

Beim Wagenlenker passt nichts im landläufigen Sinn zusammen, das Bild lässt tausend Fragen ohne Antwort. Nur eins ist klar: die Dynamik der reinen Farbe (gelb, rot), wird nicht zur Bezeichnung des Gegenstands eingesetzt, sondern als Kraftfeld, in einer freien Form, und unübersehbar ist auch die Rasanz der fliehenden Linien. Der Gegenstände, die Kraft und Geschwindigkeit suggerieren, bedarf es bei solcher Malerei nicht.

Es ist bezeichnend, dass Baer trotz der grossen Flächen ohne Vorzeichnungen arbeitet. Die Konfrontation mit der leeren Leinwand vor Beginn sei schrecklich. Hat der Prozess des Gestaltens begonnen, dann ist es wie ein Einsteigen, der Maler versetzt sich in das Bild. Und dieses Bild bekommt dann in Fällen, wo es nicht (zum Beispiel) um ein Porträt geht, den Charakter einer zu entdeckenden Landschaft, der Maler projiziert nicht nur sich selbst, sondern hebt Formen und Farben ins Licht, die im Bildgrund schliefen, bis der Maler auf sie stiess. Den Eindruck von Notwendigkeit, den die Bilder machen, das Fehlen von Willkür lassen solche Vermutung zu. Reichtum und Vielfalt der Strukturen können doch nicht das Resultat bloss subjektiver Einfälle sein.

Baer malt furios. aber er ist kein Wilder. Er arbeitet lange, und es ist sein Geheimnis, wie er verhindert, dass die Bilder von der Arbeit müde werden. Baer ist auch kein Primitivist. Er kennt die grossen Meister und er setzt dieses Wissen für seine Bilder ein. Er redet nicht davon, oder höchstens allgemein: der Stoff muss vergeistigt werden. Also mag das Auge des Betrachters zu eigenen Entdeckungen aufbrechen. Viele der Bilder sind Augenweiden. Der schmalen Grauskala zwischen weiss und schwarz gibt Baer Reichtum durch Wechsel zwischen stumpf und durchscheinend, kalt und warm. Wenn er sich voll der Farbe öffnet (wie in letzter Zeit). dann fallen ihm, lasierend, übermalend, Akkorde zu, die vollkommen, reines Glück sind. Benutzt er die Farbe pastos, dann ist das vor allem ein Mittel um durch Kontraste die Transparenz, die räumliche Tiefe der Bilder zu steigern. Immer muss Atem spürbar sein. Dazu gehört dann auch die durchgehende Rhythmik der Pinselzüge.

In: Ausstellung Peter Baer
Galerie „zem Specht“, 27.März bis 19. April 1986